Erbstreit: „Die Mutter hat ihm ja immerhin fünf Millionen Euro vermacht“

Erbstreit: „Die Mutter hat ihm ja immerhin fünf Millionen Euro vermacht“

Er erlebte Geschwisterkämpfe, Patchwork-Zoff und verordnete Drogentests – alles wegen des Erbes. Der Jurist Christoph Paul erklärt, wie man Erbschaftstreits schlichtet.

Interview:  Celine Schäfer

 

  1. September 2025, 7:59 Uhr

 

„Die Mutter hat ihm ja immerhin fünf Millionen Euro vermacht“

Wenn ein geliebter Mensch stirbt, kommt nach der Trauer häufig der Streit ums Erbe. Der Jurist und Mediator Christoph Paul schlichtet in solchen Fällen zwischen Eltern, Geschwistern und Partnern. Hier erklärt er, welche familiären Konstellationen besonders häufig zu Erbstreit führen – und wie er Konflikte auflöst. 

DIE ZEIT: Herr Paul, kennen Sie Carl-Clemens Veltins?

Christoph Paul: Mittlerweile schon, es gibt ja viele reißerische Headlines über ihn. Eine etwas unglückliche Gestalt.

ZEIT: Carl-Clemens Veltins wird in Medienberichten als schwarzes Schaf der Brauereidynastie Veltins charakterisiert: Als Jugendlicher soll er im Internat einen Mitschüler verletzt, die Eltern sollen 120.000 Euro Schmerzensgeld gezahlt haben. Er sei ohne Führerschein Auto gefahren, habe Waffen geklaut und im Gefängnis gesessen, weil er Kokain verkauft habe. Angenommen, Sie wären Veltins‘ Vater: Würden Sie Ihrem Sohn ein Vermögen von 30 Millionen Euro vererben?

Paul: Nein. Es geht bei diesem Erbe ja nicht nur um Geld, sondern auch darum, Teil eines bedeutsamen Unternehmens zu sein. Als Vater würde ich mir große Sorgen machen, ob dieser Sohn in der Lage ist, einen Betrieb zu führen. Ich würde mich fragen: Was braucht er? Wie kann ich ihn wertschätzen, aber gleichzeitig dafür sorgen, dass er keinen Quatsch mit meinem Erbe macht?

 

Christoph Paul

ist Jurist und hat mehrere Jahrzehnte als Notar und Rechtsanwalt gearbeitet. Heute schlichtet er als Mediator, wenn sich Hinterbliebene ums Erbe streiten.

 

ZEIT: Veltins‘ Mutter hatte wohl ähnliche Zweifel. Sie ließ ihren Sohn am Morgen seines 18. Geburtstags einen Pflichtteilsverzicht unterschreiben und enterbte ihn somit. So erzählt es zumindest der Sohn. Er hat seine Mutter nun, mehr als 30 Jahre später, verklagt, das Gericht hat seine Klage abgewiesen.

Formularende

Paul: Wenn das tatsächlich so passiert ist, finde ich das nicht fair. Jemanden nach einer durchgefeierten Nacht zum Notar zu schleppen und den Sohn etwas unterschreiben zu lassen, was er gar nicht versteht, ist nicht in Ordnung. Allerdings hat die Mutter ihm ja immerhin fünf Millionen Euro vermacht, das ist ja nicht nichts. Die Schlagzeilen, die Interviews, die Herr Veltins gibt, zeichnen einen impulsiven Mann, der offenbar nicht einsichtig ist und wenig problembewusst. Er hat sich durch das Handeln seiner Mutter sicherlich sehr zurückgewiesen gefühlt.

ZEIT: Sie sind Jurist und Erbmediator, seit vielen Jahren schlichten Sie Streitigkeiten zwischen Familien, die sich beim Erben nicht einigen können. Geht es dabei immer um so große Summen wie bei den Veltins‘, oder zoffen sich die Leute auch um das 5.000-Euro-Sparbuch der Oma?

Paul: Es sind eher die größeren Summen. Wenn es um viel geht, gibt es auch viel zu regeln. Es geht aber nie nur um Geld. Die Menschen kommen zu mir, wenn sie das Bedürfnis haben, auch über den Erbfall hinaus miteinander verbunden zu bleiben.

ZEIT: Wie läuft eine Erbmediation ab?

Paul: Das unterscheidet sich natürlich immer von Fall zu Fall. Am Wochenende treffe ich zum Beispiel eine Schwester und ihre zwei Brüder, die von ihrem Vater als Erben eingesetzt wurden. Die Tochter hat das Haus bekommen, das zum Nachlass gehört, soll ihre Brüder aber auszahlen. Nun sind sich die drei uneinig, wie viel das Haus wert ist. Die Tochter will natürlich, dass der Wert möglichst niedrig angesetzt wird, die beiden Brüder das Gegenteil, damit sie möglichst viel ausbezahlt bekommen. Alle drei fürchten, dass das zu einer bitteren Auseinandersetzung kommen könnte – die ihrer Geschwisterdynamik nicht entspricht.

„Zwischen Geschwistern herrscht eine spezielle Dynamik“

ZEIT: Wie gehen Sie in diesem Fall vor?

Paul: Ich habe nun mit allen Geschwistern Vorgespräche geführt, und zwar einzeln. So konnte ich erst mal erfahren, wer eigentlich welches Interesse hat.

ZEIT: Und dann?

Paul: Ich möchte – durch gemeinsame Gespräche – herausfinden, was wirklich hinter den Wünschen der Schwester und der Brüder steckt. Bei der Schwester zum Beispiel: Warum hängt sie so am Haus ihres Vaters? Wieso will sie es nicht verkaufen? Will sie dort einziehen? Wer hat wie lange in dem Haus gelebt, wer verbindet welche Erinnerungen damit? Das ist der eigentliche Kern des Konflikts. Und es geht immer auch um die Frage: Geht es der Familie auch darum, weiter miteinander verbunden zu bleiben, oder möchte einfach jeder seinen Weg gehen?

ZEIT: Aber nur weil all das einmal ausgesprochen wird, ist vermutlich der Streit noch nicht beendet.

Paul: Nein, aber wechselseitiges Verständnis ist die Basis für eine Einigung, und die ist wiederum das Ziel. Die Beteiligten wissen: Wenn sie die Sache bei mir nicht geklärt kriegen, landet sie wahrscheinlich vor Gericht.

ZEIT: Wie lange wird es dauern, diesen Streit zu klären?

Paul: Mein Ziel ist es eigentlich immer, innerhalb von drei Sitzungen den Konflikt beizulegen. Manchmal braucht es aber auch nur eine Sitzung, und manchmal begleite ich Leute über ein Jahr.

ZEIT: Eine Studie des Deutschen Instituts für Altersforschung (DIA) zeigt: Je mehr Menschen beim Erbe bedacht werden müssen, desto höher ist das Risiko für einen Streit. Bei fast 70 Prozent aller Erbstreitigkeiten sind es Geschwister, die sich zoffen. Der verbliebene Elternteil ist nur in etwa sechs Prozent der „Blockierer“. Woran liegt das?

Paul: Zwischen Geschwistern herrscht eine spezielle Dynamik, die von verschiedenen Faktoren abhängt. Wenn zum Beispiel ein Kind zu einem Zeitpunkt geboren wird, an dem die Beziehung der Eltern gut läuft und ein anderes Kind kommt in einer Ehekrise zur Welt, kann das die Geschwisterbeziehung stark beeinflussen. Das Zweitgeborene könnte das Gefühl haben, seinem Bruder oder seiner Schwester ging es immer besser – alles wurde erlaubt, alles wurde verziehen. Diese Gefühle können aufbrechen, wenn es darum geht, den Nachlass der Eltern zu regeln.

ZEIT: Geld, Immobilien, persönliche Gegenstände wie Möbel: Um was wird sich am meisten gefetzt?

Paul: Meiner Erfahrung nach spielt es nicht die größte Rolle, was vererbt wird. Es gibt andere, weiche Faktoren, die Streit begünstigen.

ZEIT: Und die wären?

Paul: Ganz häufig geht es darum, wer die Eltern gepflegt und deshalb das Gefühl hat, einen Ausgleichsanspruch gegenüber den Geschwistern zu haben. Diesen Ausgleichsanspruch gibt es ja tatsächlich, aber es ist oft schwer, ihn zu beziffern. Außerdem beobachte ich, dass es in Patchworkfamilien oft zu Problemen kommt zwischen den Kindern aus erster und zweiter Ehe. Wenn da etwa der Vater stirbt, sagen die einen Geschwister zu ihren Halbgeschwistern: Ihr hattet viel länger was vom Papa! Und die anderen sagen: Ja, aber wir haben ihn auch gepflegt! Ich verstehe beide Seiten.

ZEIT: Ich würde gern mit Ihnen über einige Erbstreitigkeiten sprechen, über die man in den Medien lesen konnte. Zuerst über diesen Fall: Der Sohn eines verstorbenen Mannes sollte alle seine Vermögenswerte erben. Doch wenige Jahre vor seinem Tod verschenkte der Vater einen Großteil seines Vermögens – rund 250.000 Euro – an seine neue Partnerin, die ihn pflegte. Der Sohn reichte Klage ein und gewann. Juristisch mag das korrekt sein – aber ist es nicht unfair, dass der Mann sein Geld nicht dem Menschen seiner Wahl vermachen kann?

Paul: Der Sohn hat gewonnen, weil seine bereits früher verstorbene Mutter und sein Vater ein gemeinsames Testament verfasst hatten, das den Sohn als Erben vorsah. Ich kann aber nachvollziehen, dass die Freundin, die sich um ihren Partner gekümmert hat, auch etwas bekommen sollte. Allerdings hatte der Sohn, so habe ich es nachgelesen, der Partnerin seines Vaters sogar ein Wohnrecht in dessen Haus gewährt. Er scheint also grundsätzlich kompromissbereit gewesen zu sein.

ZEIT: Denken Sie, eine Mediation hätte die beiden vor einem Gerichtsprozess bewahren können?

Paul: Ja, das ist so ein Beispiel, bei dem ich denke: Da hätte man doch einen Mittelweg finden können.

„Ich wünsche niemandem, dass er enterbt wird“

ZEIT: Ein anderer Fall: Ein Mann ist vor einigen Jahren vor das Frankfurter Oberlandesgericht gezogen, weil sein Großvater sein Erbe zu Lebzeiten an eine „Besuchspflicht“ gekoppelt hatte. Haben Sie so etwas auch schon mal erlebt?

Paul: Eine Besuchspflicht ist mir noch nicht untergekommen. Aber dass Erben sich um das Grab oder hinterbliebene Haustiere kümmern sollten, das war bei mir schon Thema. Einmal hat ein Mann in seinem Testament geschrieben, sein Sohn solle nur erben, wenn er sich regelmäßig Drogentests unterzieht. Dessen Schwestern hatten sich an mich gewandt und gefragt, ob das rechtmäßig sei. Ich habe ihnen gesagt, dass das vor Gericht wahrscheinlich keinen Bestand hätte. Bei dem Fall, den Sie erwähnten, urteilte das Gericht auch, dass es sich bei einer Besuchspflicht um Erpressung handelt.

ZEIT: Stecken hinter diesen Pflichten – so absurd sie auch sein mögen – nicht eigentlich halbwegs gute Absichten? Reger Kontakt zum Enkel, ein Sohn, der sich von Drogen fernhält, eine Katze, die nicht im Tierheim landet …

Paul: Wahrscheinlich schon. Kinder und Enkel über das Testament zu kontrollieren, kann aber keine Lösung sein. Ich würde mir wünschen, dass die Personen noch zu Lebzeiten ihre Bedürfnisse zu artikulieren lernen.

ZEIT: Ein dritter, letzter Fall: In Ostfriesland hat ein Gastwirt seiner Partnerin ein ungewöhnliches Testament hinterlassen. Auf einem Kneipenblock notierte er: „Schnucki bekommt alles.“ Ein wirksames Testament, urteilte ein Gericht. Was glauben Sie, wie ging es damit den Kindern des Wirtes, falls er welche hatte?

Paul: Also erst mal freue ich mich natürlich für Schnucki. Aber für die Erben, wenn es welche gab, muss das wirklich bitter gewesen sein. Ich wünsche niemandem, dass er enterbt wird. Denn es geht dabei nicht nur um Geld, es geht auch um Familienbeziehungen, die an so etwas zerbrechen können.

ZEIT: Sie haben in Ihrer eigenen Familie auch eine schmerzhafte Erfahrung machen müssen.

Paul: Mein Vater hatte sich mit seiner Schwester um das Erbe meiner verstorbenen Großeltern gestritten. Worum es genau ging, weiß ich nicht – ich war damals noch ein Kind. Einmal war ich mit meinen Eltern im Theater, und dann saß auf dem gegenüberliegenden Rang meine Tante. Sie grüßte uns nicht und wir sie umgekehrt auch nicht. Das fand ich echt heftig. Als mein Vater dann verstarb, dachte ich: Christoph, vergiss mal die alten Geschichten und geh auf deinen Cousin zu. Ich fuhr auf seinen Reiterhof.

ZEIT: Wie hat Ihr Cousin reagiert?

Paul: Er hat mich barsch abgewiesen und darauf verwiesen, dass unsere Eltern sich nicht verstanden haben. Es gebe keine Notwendigkeit, Kontakt zu haben. Das hat mich sehr getroffen. Wenn ich heute bei Erbstreitigkeiten schlichte, erinnere ich die Menschen oft daran: Denkt doch mal daran, was dieser Erbstreit mit euren Kindern macht! Viele entwickeln dann ein ganz anderes Verständnis.

ZEIT: Welche Erfahrungen wirken sich sonst auf Ihre Mediation aus?

Paul: Ich war lange Strafverteidiger, und ich sehe die Justiz als ein Ordnungsinstrument, aber auch als wichtiges Mittel, um Streit beizulegen. Aber manchmal gab es Momente in Prozessen, wo ich dachte: Es wäre so schön, mit den Leuten ins Gespräch zu kommen und zu versuchen, dass sie sich außergerichtlich einigen. Deshalb bin ich Mediator geworden.

ZEIT: Hat es Sie bei Herrn Veltins in den Fingern gejuckt?

Paul: Ja. Das ist sicher kein einfacher Mann, viele seiner Äußerungen klingen etwas spätpubertär. Aber ich habe ein altes Foto von ihm und seiner Schwester gesehen. Da dachte ich: Mensch, im Innersten wünschen die beiden sich doch bestimmt eine Verbindung zueinander.